Freitag, 11. November 2011
Wie wirkt die Depression?
3193e42, 01:03h
Die Frage in einer eMail bringt mich auf den Punkt, den Unterschied zum "normalen" Denken oder Grübeln aufzuzeigen.
Ist man in einer schwierigen Lebenssituation, sagen wir, eine wichtige einschneidende Entscheidung ist zu treffen.
Wenn man ein bisschen Grübelt, fallen einem auch irgendwann negative Aspekte der Entscheidung ein, man wird diesen nachgehen und feststellen, das sie zwar ggf. tatsächlich vorhanden sind, und beachtet werden müssen, aber niemand würde deswegen Angst vor der Entscheidung selbst entwickeln, oder diese gar völlig zur Seite schieben.
In eine Depression löst so etwas nur negative Gedanken aus, und man ist regelrecht in dieser negativen Gedankenwelt gefangen. Es gibt überhaupt keinen Ausweg mehr (wenn es ganz schlimm kommt, eben nur noch den finalen Weg!), man steigert sich in die negativen Gefühle, und empfindet ein perfides Verlangen, dem weiter nachzugeben. Die schiefe Ebene weiter hinabgehen, nichts anderes.
In meinem Fall löste das auch massive Versagensängste und damit verbundene Problemverschiebung aus. Es gab immer einen Grund, warum ich Dinge erst morgen erledigen konnte oder wollte. Das lief bereits als festes Programm ab. Der Gedanke kam immer und regelmäßig, "Mach das besser Morgen, heute ist es zu schwer/früh/spät/heiß/kalt/schwierig/kompliziert/nervig."
Diesen Mechanismus gilt es zu durchbrechen, ich habe es zum Schluss mit der Abwägung der Suizidfrage und dem Auseinandersetzen mit den folgen meiner Taten erreicht. Das war allerdings ein langer Weg, der Monate gebraucht hat.
Das volle Leben findet in der Zwischenzeit ganz woanders statt.
http://www.serengeti.org/deutsch_neu/download/wildebeests2.jpg
Ist man in einer schwierigen Lebenssituation, sagen wir, eine wichtige einschneidende Entscheidung ist zu treffen.
Wenn man ein bisschen Grübelt, fallen einem auch irgendwann negative Aspekte der Entscheidung ein, man wird diesen nachgehen und feststellen, das sie zwar ggf. tatsächlich vorhanden sind, und beachtet werden müssen, aber niemand würde deswegen Angst vor der Entscheidung selbst entwickeln, oder diese gar völlig zur Seite schieben.
In eine Depression löst so etwas nur negative Gedanken aus, und man ist regelrecht in dieser negativen Gedankenwelt gefangen. Es gibt überhaupt keinen Ausweg mehr (wenn es ganz schlimm kommt, eben nur noch den finalen Weg!), man steigert sich in die negativen Gefühle, und empfindet ein perfides Verlangen, dem weiter nachzugeben. Die schiefe Ebene weiter hinabgehen, nichts anderes.
In meinem Fall löste das auch massive Versagensängste und damit verbundene Problemverschiebung aus. Es gab immer einen Grund, warum ich Dinge erst morgen erledigen konnte oder wollte. Das lief bereits als festes Programm ab. Der Gedanke kam immer und regelmäßig, "Mach das besser Morgen, heute ist es zu schwer/früh/spät/heiß/kalt/schwierig/kompliziert/nervig."
Diesen Mechanismus gilt es zu durchbrechen, ich habe es zum Schluss mit der Abwägung der Suizidfrage und dem Auseinandersetzen mit den folgen meiner Taten erreicht. Das war allerdings ein langer Weg, der Monate gebraucht hat.
Das volle Leben findet in der Zwischenzeit ganz woanders statt.
http://www.serengeti.org/deutsch_neu/download/wildebeests2.jpg
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sturmfrau,
Freitag, 11. November 2011, 11:27
Aus meiner Erfahrung kann ich berichten, dass mein Denken in solchen Situationen sehr eingeengt ist. Ich habe die "schwarze Brille" auf, das heißt, sobald irgendeine Situation ansteht, die mir emotional besonders nahegeht, an frühere Problematiken erinnert (sprich: triggert) oder ähnlich kritisch aufgeladen ist, setzt sich ein Zug talwärts in Bewegung, der nicht mehr gestoppt werden kann. Ich male mir aus, was alles schiefgehen wird, dass mich Leute für mein So-Sein und für mein Handeln verachten/schief angucken/verurteilen werden (was früher für mich kaum aushaltbar war), und natürlich trage ich an diesem Scheitern dann auch noch die alleinige und unerträgliche Schuld - aber (von meinem verkorksten Blickwinkel aus) vollkommen zu Recht. Von dem Punkt an ist es nicht mehr weit bis zur Verneinung der eigenen Existenz, denn man handelt ja nicht nur schlecht, man ist schlecht. Die einzige Möglichkeit, diese Gefühle zu vermeiden, liegt im Nicht-Handeln. Aber selbst dafür verurteilt man sich dann.
Meines Erachtens liegt die Ursache für diese Denkweise und die damit verbundene Entscheidungsunlust, Verdrängung und Prokrastination in der frühen und konstanten Erfahrung der Selbstunwirksamkeit und der Knüpfung von elterlicher Liebe an Bedingungen. Jeder scheitert mal, jeder macht Fehler, und das alles ist nicht so schlimm - es sei denn, ein Scheitern stellt das gesamte Lebensfundament in Frage. Es stellt sich das Gefühl der Hilflosigkeit ein, denn egal, was man tut und wie man es tut, es ist immer verkehrt. Das spürt man mehr, als dass man es weiß. Nichts, was man als Kind tun konnte, konnte an dieser Lage etwas ändern, und zugleich spürt man die immense Abhängigkeit vom Wohlwollen anderer. Unter solchen Bedingungen gedeiht kein Selbstgefühl, kein Selbstwertgefühl und auch kein Gefühl der Selbstwirksamkeit. Warum dann also noch handeln, warum noch leben?
Unsere einzige Chance besteht darin, zu begreifen, dass es heute anders ist. Die tief empfundene, reale Machtlosigkeit von früher ist heute nicht mehr Fakt. Sie hat sich in unsere Herzen und unsere Nervenbahnen eingeschliffen, wir haben ein Leben lang so gelebt und nicht anders, und ganz langsam, behutsam und individuell müssen wir lernen, wer wir eigentlich sind und auf welche Weise sich der Blick weiten kann.
"Ich hab' das Gefühl, ich darf nicht sein!", sagte ich mal meinem Therapeuten.
"Aber Sie sind ja!", antwortete er mir und brachte damit alles, alles in vier Worten auf den Punkt.
Meines Erachtens liegt die Ursache für diese Denkweise und die damit verbundene Entscheidungsunlust, Verdrängung und Prokrastination in der frühen und konstanten Erfahrung der Selbstunwirksamkeit und der Knüpfung von elterlicher Liebe an Bedingungen. Jeder scheitert mal, jeder macht Fehler, und das alles ist nicht so schlimm - es sei denn, ein Scheitern stellt das gesamte Lebensfundament in Frage. Es stellt sich das Gefühl der Hilflosigkeit ein, denn egal, was man tut und wie man es tut, es ist immer verkehrt. Das spürt man mehr, als dass man es weiß. Nichts, was man als Kind tun konnte, konnte an dieser Lage etwas ändern, und zugleich spürt man die immense Abhängigkeit vom Wohlwollen anderer. Unter solchen Bedingungen gedeiht kein Selbstgefühl, kein Selbstwertgefühl und auch kein Gefühl der Selbstwirksamkeit. Warum dann also noch handeln, warum noch leben?
Unsere einzige Chance besteht darin, zu begreifen, dass es heute anders ist. Die tief empfundene, reale Machtlosigkeit von früher ist heute nicht mehr Fakt. Sie hat sich in unsere Herzen und unsere Nervenbahnen eingeschliffen, wir haben ein Leben lang so gelebt und nicht anders, und ganz langsam, behutsam und individuell müssen wir lernen, wer wir eigentlich sind und auf welche Weise sich der Blick weiten kann.
"Ich hab' das Gefühl, ich darf nicht sein!", sagte ich mal meinem Therapeuten.
"Aber Sie sind ja!", antwortete er mir und brachte damit alles, alles in vier Worten auf den Punkt.
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3193e42,
Samstag, 12. November 2011, 00:52
Ein sehr guter Beitrag, Chapeau!
Viele, viele Dinge sind bei mir genauso abgelaufen, anders nicht.
Eigentlich bin ich Sanguiniker, also eine Frohnatur. Ich Habe die elterlichen Zwänge völlig abgelegt, schon vor 20 Jahren aus eigenem Antrieb, und für mich ein klärendes Gespräch mit Beiden gehabt. Ich komme aus einen völlig bigotten Elternhaus, einfache Verhältnisse, Spießbürger bis zum Platzen (kaum auszuhalten, daher auch mein Zynismus). Ich weiß das alles, und sollte es auch verarbeitet haben, da ich mich sehr stark mit den Sachen auseinandergesetzt habe.
Und jetzt kommt's, als der Burnout anfing, war das alles noch im Kopf, Frontallappen an Kleinhirn "ich weiß das noch alles, brauchst nicht aktiv werden, meine intellektuellen Fähigkeiten sind uneingeschränkt verfügbar", Kleinhirn an Frontallappen "Interessiert mich überhaupt nicht, du bist jetzt angreifbar, der Druck ist zu groß, und damit sind deine Abwehrmechanismen eingeschränkt. Nutzt dir gar nichts, das du das alles weißt, ich erhöhe den psychischen Druck trotzdem, Ätsch!"
Nachdem ich bereits vor der Pubertät meine Situation zu analysieren und zu verstehen gelernt hatte (natürlich zu der Zeit noch nicht umfassend und vollständig, aber selbstständig), kam ich nun in eine Zeit der Deregulierung, ich reflektierte nicht mehr. Ich vegetierte immer mehr, und dadurch kamen alte Muster wieder hoch, die ich für längst überwunden hielt.
Natürlich bleiben wir alle an den Stellen angreifbar, bzw. sind dort am schwächsten, wo unsere Kindheit/Erziehung/Emotionalität die Scheunentore hat offen stehen lassen. Wir können das alles Verstehen lernen, wissen, und überwinden. Wir (meine ehemalige Frau, die den größten Teil der Kindererziehung geleistet hat!) haben unsere Kinder völlig anders, genau so wie wir es für richtig und für diese am besten hielten, erzogen. Mit klaren, wenigen Grenzen, möglichst viel Bildung und Freiheit. Mit möglichst viel wachem, kritischem Geist.
Als die Depression zuschlug, hatten mich vorher die Selbstzweifel und das eigentlich überwundene mangelnde Selbstvertrauen wieder im Griff.
Mir ist heute dieser Mechanismus, und die Umstände, Fehldeutungen und Fehlleistungen die dazu führten klar.
Ich dachte zum Beispiel, ich hätte ja bereits alle Aspekte eine möglichen Sinnkrise im Griff. Richtig, ich bin auch nicht in dies typischen Midlifecrisis gerutscht, aber ich dachte durch positiven Umgang mit Problemen und Reflektieren für alles gewappnet zu sein. Weit gefehlt, diese Dinge passieren schleichend und langsam, bis man etwas merkt, ist bereits eine Menge passiert, und man hat sich ggf. bereits verändert.
Mann muss also auch immer für Sozialhygiene sorgen, und kann nicht, wie ich es getan habe, dies delegieren, oder optimiert erledigen, oder nachholen, oder kompensieren, oder verweigern, oder intellektuell verarbeiten.
Ich habe so viele Kurse besucht, Selbsterfahrung gemacht (nicht übertrieben, keine Dutzende aber schon einige). Es hat geholfen, aber nicht in der Situation Burnout und dann Depression.
Das ich krank bin, habe ich erst gemerkt, als der Sensenmann bereits angeklopft hatte.
Deinen letzten Absatz werde ich mir einrahmen. Das bringt es sehr gut auf den Punkt!
Nochmals vielen Dank für den Post, und Deine Offenheit!
Das Du so über Dich schreiben kannst zeigt, wie weit du es gebracht hast, das ist toll!
Eigentlich bin ich Sanguiniker, also eine Frohnatur. Ich Habe die elterlichen Zwänge völlig abgelegt, schon vor 20 Jahren aus eigenem Antrieb, und für mich ein klärendes Gespräch mit Beiden gehabt. Ich komme aus einen völlig bigotten Elternhaus, einfache Verhältnisse, Spießbürger bis zum Platzen (kaum auszuhalten, daher auch mein Zynismus). Ich weiß das alles, und sollte es auch verarbeitet haben, da ich mich sehr stark mit den Sachen auseinandergesetzt habe.
Und jetzt kommt's, als der Burnout anfing, war das alles noch im Kopf, Frontallappen an Kleinhirn "ich weiß das noch alles, brauchst nicht aktiv werden, meine intellektuellen Fähigkeiten sind uneingeschränkt verfügbar", Kleinhirn an Frontallappen "Interessiert mich überhaupt nicht, du bist jetzt angreifbar, der Druck ist zu groß, und damit sind deine Abwehrmechanismen eingeschränkt. Nutzt dir gar nichts, das du das alles weißt, ich erhöhe den psychischen Druck trotzdem, Ätsch!"
Nachdem ich bereits vor der Pubertät meine Situation zu analysieren und zu verstehen gelernt hatte (natürlich zu der Zeit noch nicht umfassend und vollständig, aber selbstständig), kam ich nun in eine Zeit der Deregulierung, ich reflektierte nicht mehr. Ich vegetierte immer mehr, und dadurch kamen alte Muster wieder hoch, die ich für längst überwunden hielt.
Natürlich bleiben wir alle an den Stellen angreifbar, bzw. sind dort am schwächsten, wo unsere Kindheit/Erziehung/Emotionalität die Scheunentore hat offen stehen lassen. Wir können das alles Verstehen lernen, wissen, und überwinden. Wir (meine ehemalige Frau, die den größten Teil der Kindererziehung geleistet hat!) haben unsere Kinder völlig anders, genau so wie wir es für richtig und für diese am besten hielten, erzogen. Mit klaren, wenigen Grenzen, möglichst viel Bildung und Freiheit. Mit möglichst viel wachem, kritischem Geist.
Als die Depression zuschlug, hatten mich vorher die Selbstzweifel und das eigentlich überwundene mangelnde Selbstvertrauen wieder im Griff.
Mir ist heute dieser Mechanismus, und die Umstände, Fehldeutungen und Fehlleistungen die dazu führten klar.
Ich dachte zum Beispiel, ich hätte ja bereits alle Aspekte eine möglichen Sinnkrise im Griff. Richtig, ich bin auch nicht in dies typischen Midlifecrisis gerutscht, aber ich dachte durch positiven Umgang mit Problemen und Reflektieren für alles gewappnet zu sein. Weit gefehlt, diese Dinge passieren schleichend und langsam, bis man etwas merkt, ist bereits eine Menge passiert, und man hat sich ggf. bereits verändert.
Mann muss also auch immer für Sozialhygiene sorgen, und kann nicht, wie ich es getan habe, dies delegieren, oder optimiert erledigen, oder nachholen, oder kompensieren, oder verweigern, oder intellektuell verarbeiten.
Ich habe so viele Kurse besucht, Selbsterfahrung gemacht (nicht übertrieben, keine Dutzende aber schon einige). Es hat geholfen, aber nicht in der Situation Burnout und dann Depression.
Das ich krank bin, habe ich erst gemerkt, als der Sensenmann bereits angeklopft hatte.
Deinen letzten Absatz werde ich mir einrahmen. Das bringt es sehr gut auf den Punkt!
Nochmals vielen Dank für den Post, und Deine Offenheit!
Das Du so über Dich schreiben kannst zeigt, wie weit du es gebracht hast, das ist toll!
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sturmfrau,
Samstag, 12. November 2011, 13:17
Danke.
Ich schrieb mit Absicht "begreifen, dass es heute anders ist", denn "begreifen" ist nicht dasselbe wie "verstehen". Vom Intellekt her haben wir alle keine Probleme mit solchen Dingen. "Begreifen" ist in meinen Augen viel mehr, es ist die Kongruenz von Verstand und Gefühl, eine Verinnerlichung, die erst entsteht, wenn man immer wieder fühlt, dass es auch anders geht.
Ich wünsche Ihnen weiterhin alles Gute für Ihren Weg, und berichten Sie. Es ist zwar so, dass einem die eigene Erfahrung niemand abnehmen kann, aber dennoch kann es hilfreich sein zu erfahren, wie andere mit solchen Lebenslagen umgehen.
Ich schrieb mit Absicht "begreifen, dass es heute anders ist", denn "begreifen" ist nicht dasselbe wie "verstehen". Vom Intellekt her haben wir alle keine Probleme mit solchen Dingen. "Begreifen" ist in meinen Augen viel mehr, es ist die Kongruenz von Verstand und Gefühl, eine Verinnerlichung, die erst entsteht, wenn man immer wieder fühlt, dass es auch anders geht.
Ich wünsche Ihnen weiterhin alles Gute für Ihren Weg, und berichten Sie. Es ist zwar so, dass einem die eigene Erfahrung niemand abnehmen kann, aber dennoch kann es hilfreich sein zu erfahren, wie andere mit solchen Lebenslagen umgehen.
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3193e42,
Montag, 14. November 2011, 15:45
Ein kluger Einwand
Absolut richtig.
Zwischen verstehen und begreifen sehe ich auch den beschriebenen Unterschied.
Und die mit der Krankheit verbunden Gefühlskälte macht ja gerade das verstehen leicht. Das gaukelt einem vor, man hätte alles richtig begriffen. Man ist aber nur noch Intellekt nur noch der Roboter, der nichts mehr richtig begreift, sondern nur noch leblose Nullen und Einsen verschiebt.
So können wir Menschen nicht existieren. Und gerade viele Leute in der Geschäftswelt meinen, genau so, oder nur so könnte es gehen.
Man könnte sagen, Begreift endlich, das Ihr das nicht Verstehen könnt!
Zwischen verstehen und begreifen sehe ich auch den beschriebenen Unterschied.
Und die mit der Krankheit verbunden Gefühlskälte macht ja gerade das verstehen leicht. Das gaukelt einem vor, man hätte alles richtig begriffen. Man ist aber nur noch Intellekt nur noch der Roboter, der nichts mehr richtig begreift, sondern nur noch leblose Nullen und Einsen verschiebt.
So können wir Menschen nicht existieren. Und gerade viele Leute in der Geschäftswelt meinen, genau so, oder nur so könnte es gehen.
Man könnte sagen, Begreift endlich, das Ihr das nicht Verstehen könnt!
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